Kanadas Keimzelle der Luftfahrt


Der Aufstieg Kanadas und der Metropole Calgary im Westen ist eng verbunden mit dem Aufstieg der Luftfahrt. Während des Zweiten Weltkriegs Pilotenschmiede, dient die alte Exerzierhalle seit 1985 als faszinierendes Museum mit einer exquisiten Sammlung an Fluggeräten vor allem aus nationaler Produktion.

Kanada ist das zweitgrößte Land der Erde mit schier unvorstellbaren Weiten – und sehr wenigen Menschen. Europa hat über 450 Millionen Einwohner auf einer Fläche, die nicht mal halb so groß ist wie Kanada, wo wiederum 40 Millionen auf einer Fläche von mehr als dem Doppelten Europas leben. Allein die Provinz Alberta ist doppelt so groß wie Deutschland, aber nur Heimat von viereinhalb Millionen Menschen, davon je anderthalb Millionen in Calgary und Edmonton. Wer von hier in die anderen Metropolen will muss fliegen – oder tagelang Autofahren, denn Züge oder Busse gibt es nicht. „Nach Calgary kommt man entweder mit dem Flugzeug – oder gar nicht“, sagt der deutsche Chef von Calgarys Haus-Airline WestJet, Alexis von Hoensbroech.

Hangar mit Historie: Das Gebäude des Hangar Flight Museum wurde 1941 errichtet und war Teil der Kriegsanstrengungen des Commonwealth. Da wo heute legendäre Zivil- und Militärflugzeuge mit kanadischer Vergangenheit ausgestellt sind wurden bis 1944 insgesamt 804 Militärpiloten ausgebildet.

Kanada und Fliegen, das ist eine Symbiose, mehr als in irgendeinem Land auf dem Globus. Der Flughafen von Calgary ist riesig in seiner Ausdehnung, wie alles hier. Wer vom Terminal zum Hangar Flight Museum im Süden des Airports will, ist über zehn Kilometer mit dem Auto unterwegs – entlang der mit 4,2 Kilometer längsten Piste in ganz Kanada. Das schreckt niemanden ab – 2022 kamen 37.000 Besucher.

Ein Hangar mit Geschichte

Der langgestreckte weiße Hangar, in dem 1985 das damalige Aero Space Museum of Calgary eröffnete, entstand 1941 am Rande des erst drei Jahre zuvor angelegten Flughafens der Stadt. Er war Teil der Anstrengungen der Commonwealth-Staaten im Zweiten Weltkrieg, Kanadas Rolle war es damals vor allem, für die Ausbildung von Piloten zu sorgen, die in den Luftwaffen der von Großbritannien geführten Staatengemeinschaft Dienst tun sollten. Bis 1944 wurden hier 804 Flugzeugführer qualifiziert, unter anderem von 1942 bis 1944 von einem Fluglehrer, dessen Enkelin heute Weltruf genießt: Commander Peter Middleton, Großvater von Kate Middleton, Princess of Wales, der künftigen britischen Königin. Nach dem Krieg zog die kanadische Luftwaffe ein, später eine Hubschrauberfirma. Am meisten profitierte die frühe kanadische Airline-Branche von dem hier vorhandenen Potenzial an Fluggerät und Personal – so entstand etwa Canadian Pacific Airways, später in Air Canada aufgegangen. Das Museum heißt seit 2016 „The Hangar Flight Museum“ und verfügt heute neben dem Hangar als Hauptgebäude über ein Nebengebäude mit Zeltdach zur Unterbringung weiterer Exponate.

Buschfliegerei in Kanada wäre undenkbar ohne die legendäre Douglas DC-3. Das im Zeltgebäude des Museums ausgestellte Flugzeug trägt die Baunummer 13448 und kam nach rund einem Jahrzehnt in den USA 1956 nach Kanada, machte zunächst Versorgungsflüge für eine Pipeline-Firma. 1967 wechselte sie nach Yellowknife ganz im Norden und flog für verschiedene Airlines, zuletzt bei den berühmten „Icepilots“ von Buffalo Airways.

Die legendäre Twin Otter

Es gibt kein weltweit bekannteres, bedeutsameres und langlebigeres Flugzeug aus Kanada als die unverwüstliche de Havilland Canada DHC-6 Twin Otter. Die robuste Zweimotorige für üblicherweise 19 Passagiere wurde von 1965 bis 1988 und wieder seit 2008 bis heute andauernd produziert, insgesamt bisher fast tausend Stück. Das Beeindruckendste an dem Flugzeug sind seine extremen Kurzstarteigenschaften: „Ohne Nutzlast könnte die innerhalb unseres Zelthangars hier starten“, erklärt einer der Volunteers (Freiwilligen), die im Museum ungläubigen Besuchern Führungen anbiete – die Stirnwände scheinen plötzlich so gar nicht weit weg voneinander, zumindest für einen Flugzeugstart. Das Flugzeug im Hangar trägt die Bemalung von Kenn Borek Air, eines ebenso legendären kanadischen Betreibers, der passenderweise nur wenige Hangars weiter in Calgary an weltweit oft unter Extrembedingungen eingesetzten Twin Otters arbeitet. Vor allem für Wissenschaftsexpeditionen und zur Exploration von Bodenschätzen, aber auch im Tourismus und zur Versorgung fliegen Twin Otters in Arktis und Antarktis ebenso wie zu Tropenarchipelen mit ultrakurzen Pisten. Die Museumsmaschine ist eine Rekordhalterin. Sie wurde als Vorserienflugzeug bereits 1966 gebaut, flog bis 1997 und landete einmal am Nordpol. Vor allem aber war sie in über 30 Jahren so viel in der Luft wie keine Schwestermaschine – 25.503 Flugstunden, das entspricht fast drei vollen Jahren!

Buschflieger und früher Airliner

Die Barkley-Grow T8P-1 dürften selbst viele Fachleute nicht kennen, ab 1937 wurden vom Herstellerwerk in Detroit nur elf gebaut. Was den Sechssitzer (plus zwei Mann Besatzung) für Kanada perfekt machte – der Ganzmetall-Tiefdecker mit geheizter Kabine konnte je nach Saison auf Rädern, Schwimmern oder Skiern abheben und landen. Eine Barkley-Grow absolvierte 1939 den ersten Nonstopflug von New York nach Lima, eine andere diente Polarforscher Richard Byrd auf seiner dritten Antarktis-Expedition 1939/1940. Nur drei der elf Exemplare dieses seltenen Buschflugzeugs und frühen Airliners haben überlebt, und alle befinden sich in Alberta. Die im Zelthangar des Museums auf Schwimmern stehende Maschine wurde 1940 gebaut und war das erste Verkehrsflugzeug in Kanada, in dem die Besatzung (auf einigen Routen gab es als Premiere sogar Flugbegleiter) in Uniformen gekleidet flog. Diese Maschine war für nicht weniger als sechs kleinere und mittlere Airlines im Einsatz, darunter Pacific Western und Canadian Pacific Airlines, die später in ganz Kanada zu den größten wurden.

Seltener Pionier aus den späten Dreißigern: Die elegante Barkley-Grow T8P-1 wirkt auch noch im neunten Jahrzehnt ihrer Existenz zeitlos schön. Das Flugzeug war unglaublich flexibel einsetzbar, perfekt für die stets harschen, aber stets wechselnden Bedingungen in Kanada. Das Museumsflugzeug, gebaut 1940, flog zuletzt 1979.

Große Airlines aus Kanadas Westen

Zwei kanadische Airlines mit nationaler Bedeutung haben bzw. hatten ihren Sitz in Calgary. Eine davon ist Canadian Airlines, die von 1987 bis 2001 unter diesem Namen flog und dann von Air Canada übernommen wurde. Die andere ist WestJet, 1996 in Calgary als Billigflieger gestartet und heute zweitgrößte Airline des Landes mit rund 140 Boeing 737 und sieben Boeing 787, die Calgary mit Zielen von Tokio bis Paris verbindet. Im Museumshangar sind beide präsent, Canadian mit dem Schnittmodell einer DC-10, WestJet mit dem Kabinentrainer ihrer früheren Boeing 767, mit denen der Billigflieger sich ab 2015 erstmals über den Atlantik wagte.

Kein Flugzeug symbolisiert Kanada besser als die Twin Otter. Die Kenn Borek Air, deren Farben sie hier trägt, ist beheimatet im Nachbarhangar und Betreiber von Twin Otters weltweit, von den Polen bis zu den Malediven. Auch Viking Air, die seit 2008 die Twin Otter wieder baut, hat einen ihrer Sitze in Calgary. Die im Zelthangar stehende Maschine wurde bereits 1966 gebaut und flog so viel wie keine andere.
Text und Bilder: Andreas Spaeth

Information

The Hangar Flight Museum befindet sich am südlichen Rand des Flughafens von Calgary, 4629 McCall Way NE.
Geöffnet täglich außer montags von 10:00 bis 16:00 Uhr,
Eintritt für Erwachsene: 15 Kanadische Dollar
www.thehangarmuseum.ca