Kein Modeaccessoire –
ein Statement!
Kaum ein Accessoire polarisiert in den 1970er Jahren mehr als das Vinyldach. Techniker und Ingenieure weisen auf praktische Nachteile hin, Automobilästheten schwärmen vom Look, Existenzialisten halten den Kunstlederbezug für unsinnig, Freunde des „American Way of Driving“ himmeln diesen puren Amerikanismus an und die Hersteller freuen sich über ein Zubehörteil, das sich - zumindest bei einigen Fabrikanten - nahezu von selbst verkauft.
Ein paar Quadratmeter Kunstleder
Ein paar Quadratmeter Kunstleder mit strukturierter Oberfläche, dreiteilig passgenau zugeschnitten, dem Auto aufs Dach geklebt. Das ist das „Vinyldach“, genauer ausgedrückt der Vinyldachbezug. Statt „Vinyl“ kann man auch „Kunstleder“ sagen; es ist ein PVC-Kunststoff, also Polyvinylchlorid. Meist schwarz, manchmal auch farbig, je nach automobilem Kulturkreis. Das Ensemble besteht aus drei Teilen, rechts und links jeweils ein zugeschnittenes Formteil, das den Dachrand und die C-Säule (manchmal auch die A-Säule) bedeckt, in der Mitte eine breite Bahn, welche die eigentliche Dachhaut überzieht. Die drei Teile sind durch eine Art überlappende Naht miteinender verbunden. Das Ganze wird mittels Spezialkleber auf die grundierte, aber unlackierte Dachhaut geklebt. Windschutz- und Heckscheibe werden erst danach am Fließband eingebaut, weil der Vinylbezug bis zu den Fensteröffnungen reicht. Die Gummidichtungen der Scheiben sitzen also auf dem Vinylbezug, nicht umgekehrt. In Europa kommen die ersten Vinyldächer Mitte der 1960er Jahre auf, die Mode endet ungefähr 1980/81, flaut aber bereits Ende der 1970er Jahre massiv ab.
[1] Blow-up: Nahaufnahme eines Vinyldachbezugs, worauf seine Struktur gut zu erkennen ist. Den Abschluss an der C-Säule bildet stets eine Chromzierleiste. Bild: afs
[2] Das steckt darunter, wenn man das Auto seines Vinylbezugs beraubt: Nur Grundierung, kein deckender Lack, allenfalls Lacknebel. Und irgendwer hat auf die C-Säule die Bezeichnung der roten Lackierung geschrieben, „Rojo Feria“. Eine lustige Überraschung für denjenigen, der diesem Chrysler seinen Dachbezug abgezogen hat. Bild: afs
Eine Mode aus den USA
Das Vinyldach kommt aus den USA, wie so viele automobile Moden, wie aber auch viele tief greifende, automobile Errungenschaften. Ihm wird seinerzeit ein weit zurück liegendes Narrativ angedichtet, ja, die gute, alte Kutschenbauzeit wird bemüht. Pferdekutschen dienen dem privaten Nahverkehr, sie sind offene Fahrzeuge mit aufklappbarem Planenverdeck. Nur Fernverkehrskutschen (z. B. Postkutschen) und Luxusfahrzeuge haben einen geschlossenen Aufbau. Beim Automobil ist es anschließend genauso, die populärste Aufbauform in den 1910er bis 30er Jahren ist der offene Tourenwagen mit Wetterverdeck. Anschließend wird das Cabriolet zum Liebhaber- und Zweitwagen, die Limousione setzt sich als Allrounder durch. Durch Ralph Naders ebenso bösartiges wie treffsicheres, autofeindliches Buch von 1965 „Unsafe at any Speed“, das auf das problematische Fahrverhalten von Heckmotorfahrzeugen und Unsicherheit von Cabriolets bei Überschlägen abzielt, werden die US-Sicherheitsvorschriften so streng, dass die dortige Autoindustrie rund zehn Jahre lang kein einziges Cabriolet mehr baut und der Import europäischer Cabriolets in die USA fast unterbunden wird. Die USA trauern dem Cabriolet ein Jahrzehnt lang hinterher. Vor allem die Briten und Italiener können ihre schnuckeligen Roadster nicht mehr dorthin exportieren, und Porsche konstruiert den offenen 911er deshalb als Targa, weil er sonst auf dem Hauptexportmarkt USA nicht zulassungsfähig gewesen wäre.
[1] Ursprünglich ist das Vinyldach in den USA ein sportliches Accessoire, kein elegantes. Muscle Cars tragen es, wie der 1968er Chevy Camaro. Bild: Archiv GM
[2] Zunehmend kommen auch Viertürer in den Genuss. Der 1969er Ford Thunderbird trägt noch ein weiteres Retro-Attribut, nämlich eine verchromte Sturmstange an der C-Säule. Das erinnert auch an die Kutschenbauzeit. Bild: Archiv Ford
Die Mode kommt nach Europa
Die US-Industrie ersinnt das Vinyldach. Es lässt ein jedes Zweitürer-Coupé aussehen wie ein Cabriolet mit geschlossenem Verdeck. Die Mode greift um sich, erfasst auch Viertürer-Limousinen, ja sogar Kombis. Und wie jede automobile Mode aus den USA, so erobert auch diese mit Verzögerung das alte Europa. Es sind die Filialen amerikanischer Konzerne in Europa, die zuerst auf den Zug aufspringen. Zu den ersten Europäern mit Vinyldach gehört 1964 der Opel Diplomat V8, serienmäßig mit Kunstlederdachbezug. Unerhört ist das! Gleichzeitig ersetzt das Vinyldach peu-à-peu die Zweifarbenlackierung. Denn es ist für die Fließbandproduktion effektiver und preiswerter, ein Dach mit Vinyl zu bekleben, als es schabloniert und aufwändig in einer Komplementärfarbe zu lackieren. Die Vorreiter in Europa sind also jene Firmen, welche amerikanische Konzernmütter haben: Ford und Opel in Deutschland, in Großbritannien ebenfalls Ford sowie die englische GM-Tochter Vauxhall und die Marken des Rootes-Konzerns, der zu Chrysler gehört (Hillman, Sunbeam, Singer, Humber). In Frankreich ist Chrysler der Eigentümer von Simca, weshalb dort Simca zu den Vorreitern gehört.
[1] Der britische Automobilstil war amerikanischer als der kontinentaleuropäische, und so tragen in Europa die ersten Autos in England das modische Extra. Vauxhall Ventora von 1968... Bild: Archiv Vauxhall
[2] ...und sein Nachfolger der nächsten Generation auch: Ventora von 1972. Er entspricht im Vauxhall-Programm dem deutschen Opel Commodore B. Bild: Archiv Vauxhall
[3] Die Deluxe-Versionen biederer Fahrzeuge werden damit aufgewertet: englischer Ford Corsair 2000 E von 1968. Bild: Ford
[4] Der Cortina Mk III entspricht, abgesehen vom stärker ausgeprägten Hüftschwung, dem deutschen Ford Knudsen-Taunus. In seiner Topversion 2000 Executive trägt er Vinyldach, wie bei uns der Taunus GXL. Bild: Ford
Lieben oder hassen:
zweigeteilter Nationalgeschmack
Die europäischen Autohersteller ohne US-Wurzeln sind zögerlich. Einerseits mögen viele von ihnen das Vinyldach aus stilistischen Gründen nicht. Mercedes und BMW beispielsweise bieten nie Vinyldächer an, auch nicht im Export in die USA. Andere wie Audi nehmen es nolens-volens ins Programm auf, propagieren es aber nicht sonderlich. Wieder andere Hersteller bieten den Kunstlederbezug nur auf bestimmten Exportmärkten an, nicht aber auf dem Heimatmarkt, oder adeln es als Accessoire für außergewöhnliche Modelle. Porsche hat sein ganz eigenes Vinyldach: Das herausnehmbare Dachteil des Porsche 911 Targa ist stets mit Vinyl bezogen. Es gibt Märkte, wo die Kunden ganz scharf auf das Vinyldach sind und solche, die es fast komplett ablehnen. Vinyldachfans sind die Kunden in der Schweiz, in den Benelux-Staaten, in Großbritannien, Dänemark und Spanien. Die Italiener und Franzosen gehören zu den Vinyldach-Hassern. Die Deutschen und Österreicher sind zwiegespalten. In den Ostblockstaaten spielt das Vinyldach keine Rolle.
[1] Der erste deutsche Wagen mit serienmäßigem Vinyldach ist der Opel Diplomat A V8 von 1964. Das ist nicht sein einziger Amerikanismus. Er trägt auch einen US-Motor, ein US-Getriebe und eine US-Hinterachse. Bild: afs
[2] Opel setzt es auch in der kleineren Klasse ein, sogar beim Kombi, so gibt es den Ascona A mit schwarzem Kunstlederdach. Aber eigentlich ist das Kunstlederdach in der größeren Klasse zuhause, wie hier am Commodore A. Bild: Opel
[3] Rekord D mit Kunstlederdach und seltsam anmutenden Stoßstangen. Er stammt nicht aus Rüsselsheim, sondern aus Südkorea, eine Lizenzproduktion bei Daewoo. Bild: Archiv Daewoo
[4] Auch beim Nachfolger, dem Rekord E, entscheiden wir uns für eine exotische Version aus Südkorea. Auf dem Schriftzug steht „Record“ mit „c“ geschrieben. Bild: Archiv Daewoo
[5] Auf dem Kadett B wird nie ein Kunstlederdach geklebt. Diese These stimmt. Aber seine kurzlebige Luxusversion namens Olympia A ist Vinylträger, nicht nur als Zweitürer. Ihn gibt es nur mit schrägem Heck, nicht als Stufenhecklimousine und nicht als Caravan. Bild: Wolfgang Diem
[6] Zeitweise bedeckt das Vinyldach in den USA nicht die komplette Dachhaut, sondern nur den hinteren oder nur den vorderen Bereich. Dieser Manta A, ein Prototyp für den US-Markt, trägt sogar ein verändertes hinteres Seitenfenster („Opera Window“). Bild: Archiv afs
Manche Hersteller bieten ihre Fahrzeuge nur für spezielle Märkte mit Vinyldächern an. So kann man in der Schweiz jeden Citroën GS oder CX damit ordern. Auf allen anderen Märkten stattet Citroën nur sein Spitzenmodell, den CX Prestige, damit aus, dann allerdings serienmäßig. In Großbritannien hat in den 1970ern fast jeder Audi ein Vinyldach, in Deutschland sieht man Audis mit schwarzen Dächern selten. VW geht einen Sonderweg. Eigentlich haben VWs keine Vinyldächer. Aber der im Werk Salzgitter entstehende K70 ist mit einem mattschwarzen Dachlack zu haben, kein Vinylbezug, aber ein Lack, der diesen imitiert. Und ein Passat ist in den USA unter der Markenbezeichnung Volkswagen Dasher durchaus bevinyldacht, in Europa aber nie. Bei manchen Autofabrikanten obliegt es dem jeweiligen Importeur, für den Dachbezug zu sorgen. So laufen Volvos in Schweden nie mit Kunstlederdachbezug vom Band, aber der US-Importeur versieht die Fahrzeuge im Nachhinein damit. Das gilt auch für Ostblockautos. So manches Lada-Sondermodell wie der Niva 5000 oder Luxusvarianten des Lada 1600 erhalten den Dachbezug vom westdeutschen Importeur.
[1] Das schwarze Dach schmückte in Europa sowohl feine Limousinen als auch sportliche Coupés, hier am Ford Capri I 3 Liter GXL von 1974. Bild: Archiv Ford
[2] Ausgeprägter Hüftschwung („Coke Bottle Style“), gepaart mit Vinyldach: Typischer Wagen des gehobenen Bürgertums Anfang der 1970er Jahre, Ford Granada GXL Coupé von 1972. Bild: Ford
[3] Eine Klasse unter dem Granada, ebenfalls das Topmodell seiner Baureihe: Ford Taunus GXL Coupé, gibt es in 1:87 auch von Herpa, dort ebenfalls mit Vinyldach. Bild: Ford
[4] Die Franzosen sind keine Vinyldachnation. Aber der im angloamerikanischen Stil gehaltene Chrysler/Simca 2 Litres trägt es dennoch serienmäßig. Vielleicht kaufen ihn deshalb die Briten lieber als die Franzosen. Bild: afs
[5] Der einzige Citroën mit serienmäßigem Kunstlederdachbezug ist der CX Prestige, die verlängerte Luxuslimousine. Bild: Guilaume Vachey
Vinyldächer sogar in Farbe
Vinyldächer sind schwarz. Aber nicht immer. Der deutsche Geschmack lässt allenfalls die Farbe Schwarz zu. Ford bietet auch dunkelbraune Vinyldächer an, die hier aber kaum geordert werden. In den vinyldachbegeisterten Nationen hingegen schon. Allenfalls Sondermodelle bekommen in Deutschland bunten Dachbezug, so zum Beispiel der Opel Manta A Berlinetta, dessen Dachfarbe mit der Karosseriefarbe korrespondiert. Es gibt sogar dunkelrote oder dunkelblaue Bezüge für diesen Manta. Simca bietet den Chrysler 2 Litres in Kombination mit Dunkelbraunmetallic mit einem Vinyldach in Hellbeige an, zusammen mit Velourssitzbezügen im selben Farbton. Auch für den Opel Diplomat B sind blaue und grüne Dachbezüge lieferbar, der Ford Granada Ghia trägt manchmal braune Dächer.
[1] Farbige Vinyldächer sind sehr amerikanisch, und am amerikanischsten sind weiße: Ford Mustang II von 1975. Bild: Archiv Ford
[2] Typischer Straßenkreuzer, immens viel Blech, nur zwei Türen und innen Platz für Vier: goldfarbener Dodge Polara Custom mit Vinyldach in Hellbeige. Bild: afs
[3] Gab’s in Westdeutschland nicht zu kaufen: Audi 100 Coupé S von 1971 mit Vinyldach in Hellbeige, für einen Exportmarkt hergestellt und von einem Liebhaber reimportiert. Bild: afs
[4] Kein Manta A war luxuriöser als er: Tarragonaroter Manta Berlinetta von 1974 mit dunkelrotem Vinyldach. Bild: Archiv Opel
Gerade limitierte Sondermodelle werden gerne mit auffälligen Vinyldächern versehen. Der britische Rootes-Konzern beispielsweise verpasst seinem Hillman Avenger-Sondermodell namens Top Hat von 1972 ein cremeweißes Kunstlederdach zum blaumetallicfarbenen Karosserielack und dem Sunseeker von 1974 ein schneeweißes Vinyldach zum pastellorangefarbenen Außenlack. So etwas muss man mögen und es gehört eine gute Portion Mut und Individualismus dazu, einen solchen Wagen zu fahren. Rolls-Royce, dessen wichtigster Exportmarkt die USA sind, entscheidet sich für ein eigenes System, das so genannte Everflex Roof. Das ist nicht einfach nur ein aufgeklebter Kunstlederbezug, sondern ein dreidimensionales Gebilde, das beim Anfassen nachgibt. Wer mit dem Finger auf ein Everflex Roof drückt, spürt, dass es leicht nachgibt – ganz so, als würde man ein richtiges Stoffverdeck anfassen.
[1] Weißes Vinyldach an einem blaumetallicfarbenen Fahrzeug, innen auch blau, sogar das Lenkrad blau: Hillman Avenger Sondermodell Top Hat von 1974. Bild: kitmasterbloke
[2] From downunder: Der Chrysler Centura aus Australien kombiniert die Karosserie des Chrysler/Simca 180 mit lokalen Sechszylindermotoren. Der Centura GL von 1976 erfreut sich eines Vinyldaches in Hellbeige. Bild: Archiv afs
[3] Ganz spezieller Citroën CX Prestige von 1976, von Henri Chapron in eine Superluxuslimousine konvertiert, in Schwarz mit Vinyldach in hellem Beige, ausgestellt auf der Auto RAI in Amsterdam 2011. Bild: Rutger van der Maar
[4] Mit nachgiebigem Everflex-Roof: Rolls-Royce Silver Spirit. Wer mit dem Finger auf das Dach drückt, spürt, dass es nachgibt. Doch speziell beim Rolls gilt: „Das Berühren der Figüren mit den Pfoten ist verboten.“ Bild: Alexandre Prévot
Das Für und Wider:
Kritiker und Apologeten
Die Kritiker sagen: Unter einem schwarzen Kunstlederdach heizt sich ein Auto in der Sonne auf. Sie fühlen sich dadurch bestätigt, dass die Italiener mit ihrem Sonnenwetter von Vinyldächern Anstand nehmen. Aber die Spanier, nicht weniger sonnenverwöhnt, lieben sie. In Spanien sind Vinyldächer noch en vogue zu Zeiten, da sie in Deutschland nicht mal mehr auf der Aufpreisliste stehen, bis weit in die 1980er Jahre hinein. Die Kritiker sagen: Wenn ein Vinyldach an der naht undicht wird, sammelt sich Wasser darunter und die Dachhaut rostet. Das kommt selten bis gar nicht vor, der Bezug ist stabil. Die Kritiker sagen: Eine (Unfall-)Reparatur ist aufwändig, weil das Auto nicht nur zum Karosseriespengler und -lackierer, sondern auch zum Fahrzeugsattler muss, denn dieser Berufsstand ist dafür verantwortlich. Dieses Argument stimmt. Aber all diese Vernunftargumente sind ganz einfach durch ein einziges, hochemotionales Gegenargument zu widerlegen: Das Vinyldach sieht ganz einfach verdammt gut aus! Es macht das Auto, je nach Fahrzeugtyp, sportlicher oder eleganter, es ist individuell, es streckt die Linie. Es erleichtert auch die Fahrzeugpflege: Wer schon einmal ein Autodach mit einer Lackpolitur behandelt hat, weiß, wie mühsam das ist und wie sehr es Muskelkater verursacht. Ein Vinyldach braucht kaum bis gar keine Pflege. Unter Automenschen wird diskutiert, mit welcher schwarzen Schuhcreme der Bezug am besten und einfachsten zu pflegen sei, und tatsächlich tat es dem Dach gut, einmal im Jahr mit Schuhcreme eingerieben zu werden.
[1] Typischer Spanier: Den Simca 1100 gibt es in Frankreich nie mit Vinyldach, seinen spanischen Cousin, den Simca 1204, hingegen schon. Die Spanier lieben Vinyldächer! Bild: Spanish Coches
[2] Der größte spanische Wagen ist der bei Barreiros gebaute Dodge Dart, hier ein GT von 1969 mit 6-Zylinder-Benziner und 163 PS. Taxifahrer mögen ihn gerne, dann mit einem hauseigenen Barreiros-Dieselmotor. Bild: Ajzh2074
Das Vinyldach heute:
Eine schöne Erinnerung
In den 1970er Jahren sind Autosattler mit Vinyldächern vertraut. Heute sind sie es nicht mehr. Heute sind wenige auf Oldies spezialisierte Sattler in der Szene bekannt. Schwarzen Vinylbezug gibt es noch – alleine, weil ihn Porsche ewig lange für seine Targadächer verwendet. Farbiger Vinylbezug ist eine Seltenheit. So mancher Wagen wird heute im Zuge der Restaurierung seines Vinyldaches beraubt, weil der Restaurator den Aufwand scheut. Umso schöner, wenn auf Klassikertreffen Fahrzeuge mit originalem Dachbezug auftauchen. Die Erfahrung lehrt, dass bei einigen, völlig verwahrlosten Scheunenfunden einzig das Vinyldach noch völlig in Ordnung ist. Hat es aber einen Schaden, so wird es häufig gänzlich eliminiert. Aber es gibt einfach Fahrzeuge, an denen es nicht wegzudenken ist – nicht nur Amischlitten aus den 1970ern, sondern auch ein jeglicher Opel Diplomat; der Knudsen-Taunus, der erste Granada und der Commodore B werden mit dem Vinyldach assoziiert, auf den CX Prestige gehört es, der Chrysler/Simca 2 Litres trägt es serienmäßig, ebenso wie die Topversionen vieler britischer Wagen aus der Zeit (Sunbeam Sceptre oder Vauxhall Ventora).
[1] Auch Umbauer bedienten sich des Vinyldaches, denn es kaschiert Schweißnähte am Dach: Mercedes W108, die S-Klasse 1965 bis 1972, als Kombi vom englischen Karosseriebauer Crayford. Bild: Archib afs
[2] Das gleiche gilt für Bestattungswagen, die gerne damit geschmückt werden: Ford Granada 1978 mit Pollmann-Karosserie... Bild: Archiv afs
[3] ...und ein zum Bestattungswagen umgebauter Chevrolet Caprice Classic Wagon von 1977. Bild: Archiv afs
[4] Wenn er als Bestatter dient, wird sogar ein schnöder Ford Transit in den Adelsstand erhoben, Vinylträger sein zu dürfen. Sieht einfach schick aus. Bild: Archiv afs
[5] Selbst in der aktuellen Zeit hat das Vinydach nicht völlig ausgedient. Eine Sonderserie des Opel Tigra Twin Top, eines Coupé-Cabriolets mit zusammenfaltbarem Blechdach, erhält einen Vinylbezug, damit das Dach nach Stoffverdeck aussieht. Bild: Opel
[6] Das Ur-Vinyldach in Deutschland: Das Targadach des Porsche 911 ist bis zur Generation 996 mit Vinylstoff bezogen, im Bild ein G-Modell aus den frühen 1980ern. Bild: Wolfgang Diem
Das Vinyldach bei Herpa
Vinyldächer auf Modellautos sind eine heikle Angelegenheit. in 1:87 erwartet niemand die typische Kunstlederstruktur (in 1:43 oder 1:18 schon eher). Doch wenn sich ein Modellhersteller für ein Vinyldach entscheidet, so sollt es die charakteristischen beiden, längs verlaufenden Nähte aufweisen sowie die Chromzierleiste, die den Abschluss an der C-Säule bietet. Letzteres ist mit einem Druckwerk zu erzielen. Aber die fehlenden Nähte sind eben fehlende Nähte. Sie in das Formwerkzeug zu gravieren, ist ein Leichtes. Aber dann ist der Hersteller dazu verdonnert, alle Versionen dieses konkreten Modells mit Vinyldach zu versehen. Denn bei einem lackierten Autodach ergeben eingravierte Nähte natürlich keinen Sinn. In 1:87 hat es Herpa etwas leichter als die anderen, die in 1:43 oder 1:18 unterwegs sind. Herpa versieht einzelne Modelle mit mattschwarzen Dächern, und das ist so was von Siebziger! Halbwegs aktuell im Herpa-Programm sind drei Modelle mit Vinyldächern, der Simca 1301/1501, das Ford Knudsen-Taunus Coupé sowie der Capri III. Beim Knudsen-Taunus hat sich Herpa für die Konstruktion einer Längsnäht entschieden, er ist also nicht ohne schwarzes Dach realisierbar. Der Capri, ein Oldie im Herpa-Programm seit 1978, trägt keine Nähte, denn er ist damals ohne Vinyldach zur Welt gekommen. Und den Simca macht Herpa sowohl-als-auch, also 1301 Special ohne und als 1501 Special mit Kunstlederdachbezug. In der Vergangenheit gibt es weitere Herpa-Modelle mit mattschwarzem Dach, so zum Beispiel in der längst verflossenen „Serie 70“ einen gelben Opel Ascona C (der im Original nie ein Vinyldach trägt, weil er dafür zu jung ist, ein Achtziger-Jahre-Auto, das in die „Serie 70“ nicht passt), aber auch das legendäre Messemodell von 1988, der Opel Ascona A Voyage mit Vinyldach und Holzdekor an den Flanken. Bis heute sagt man in der Herpa-Sammlerszene, dies sei das schönste Messemodell aller Zeiten gewesen.