Auf des Messers Schneide
Als das Fliegen noch entspannter war
„Es war einmal“ – so beginnen üblicherweise Märchen. Doch genau so könnte auch diese Geschichte ihren Anfang nehmen, die aus heutiger Sicht wie der Stoff aus einer anderen Welt des Luftverkehrs anmutet.
Diese Geschichte erzählt von einer Zeit, in der es keine Sicherheitskontrollen von Fluggästen an den Flughäfen gab, und in der die Vorfelder der Airports nur durch niedrige Zäune von den Zuschauerterrassen getrennt waren. Wie die Passagiere, lief auch das Personal ohne kontrolliert zu werden auf das Vorfeld und konnte die Flugzeuge unbehelligt betreten. Und dort, an Bord der Propellermaschinen und ersten Jets des „Goldenen Zeitalters des Luftverkehrs“, wimmelte es nur so von Gegenständen, die heutigen Sicherheitsexperten die Nackenhaare zu Berge stehen lassen würden.
Betrachtet man Zeichnungen von Flughäfen aus den 50er- und 60er-Jahren, in denen die Laufwege der Passagiere vom Check-in bis zum Abflug dargestellt sind, so fällt einem auf, dass ein Detail fehlt: die Sicherheitskontrolle. Flugzeugentführungen waren in jenen Jahrzehnten noch eine Seltenheit, und so gab es in den 50er-Jahren gerade einmal weltweit fünf nennenswerte Ereignisse. Meist verliefen diese „Hijackings“ auch harmlos und es blieb bei der Forderung nach einem neuen Zielort.
Diese schematische Darstellung des ursprünglichen Passagierterminals des Hamburg Airports aus den 50er-Jahren zeigt, dass ein heute dominierendes Detail völlig fehlte: die Sicherheitskontrolle. Fluggäste konnten unbehelligt von Sicherheitschecks an Bord der Maschinen gelangen.
Foto: Flughafen Hamburg
„Beliebt“ waren Entführungen aus europäischen Staaten des damaligen Ostblocks in den vermeintlich „goldenen“ Westen oder die Flucht nach Kuba – um aus politischer Überzeugung die Regierung Fidel Castros zu unterstützen. Passagiere und Crews kamen hingegen überwiegend mit dem Schrecken davon. Die wenigen Fälle, in denen es zum Absturz der Maschine in Folge einer Entführung kam oder einzelne Personen an Bord getötet wurden, waren bis in die 70er-Jahre weltweit verschwindend gering. Und so wurde das Entführungsrisiko von den Airlines und
Behörden zunächst unter den Tisch gekehrt und man verzichtete lieber auf Kontrollen, um die Passagiere nicht zu verunsichern.Die globale Sicherheitslage verschlechterte sich erst nachdrücklich mit den aufkeimenden Konflikten im Nahen und Mittleren Osten und den damit verbundenen Bombenanschlägen und blutig verlaufenden Entführungen von Verkehrsflugzeugen. Beispiele sind das Drama um die Lufthansa Boeing 737 „Landshut“ im Jahr 1977 bis hin zu den die Welt verändernden Ereignissen des 11. September 2001.
Rauchuntensilien zu Werbezwecken
Dies war die grob umrissene Sicherheitslage, als der Luftverkehr nach 1945 zu einem neuen Höhenflug in Nachkriegszeiten ansetzte. Service stand bei den Airlines hoch im Kurs, um die Gunst der Flugreisenden zu gewinnen. Und so boten sie alles auf, was zu jener Zeit bei den meist männlichen Flugreisenden begehrt war. Dazu zählten unter anderem Feuerzeuge und Taschenmesser. Während das Rauchen heutzutage weitestgehend aus gesundheitlichen Gründen verpönt ist, galt es vor allem in den 50er-Jahren als
Ausdruck der Weltoffenheit und Lebensfreude. Dieses positive Image des Tabaks ging vor allem in Westdeutschland auch auf die unmittelbaren Nachkriegsjahre zwischen 1945 und 1948 zurück, als Zigaretten auf dem Schwarzmarkt gegen Lebensmittel getauscht wurden und somit eine Ersatzwährung bis zur Einführung der Deutschen Mark darstellten. Eine Zigarette entsprach in etwa dem heutigen Wert von 30 Euro, und war somit ein wertvolles Tauschgut.
Auch Feuerzeuge wurden während des Fluges an Bord der Lufthansa-Langstreckenmaschinen in den 50er-Jahren verteilt. Heute ist dies strengstens verboten!
Foto: Wolfgang Borgmann
Erst Mitte der 60er-Jahre erschienen die ersten Berichte in den Medien über die gesundheitlichen Gefahren des Rauchens. Der Lifestyle-Aspekt des Zigarettenkonsums, der gerade bei Frauen als Zeichen der Emanzipation galt, wich langsam der Einsicht, dass Rauchen in vielen Fällen tödlich sein kann. Doch bis dahin verwöhnten die Airlines ihre Passagiere mit allem, was zum Rauchen an Bord benötigt wurde. Streichholz-Heftchen, Benzin- und Gasfeuerzeuge, Zigarren, Zigaretten und Zigarillos wurden von den Flugbegleitern in der Kabine verteilt, die sich schon vor
dem Start mit blauem Tabakrauch füllte. Offenes Feuer am Sitzplatz oder in den Bord-Toiletten, leicht entflammbares Benzin und Gas in den Händen von Passagieren – heutzutage ein Alptraum aller am Luftverkehr Beteiligten, der zur sofortigen Sicherheitslandung einer Maschine führen würde. Doch im „Goldenen Zeitalter“ waren die Crews entspannt und sorgten dafür, dass die ihnen anvertrauten Gäste ihrem Laster in der Luft, wie von ihrem Alltagsleben am Boden gewöhnt frönen konnten. Zumal die verteilten Rauchutensilien auch Werbezwecken der Airlines dienten.
In den 1960er-Jahren zählte es zum First-Class-Service an Bord der Lufthansa Boeing 707, die dargebotenen Braten vor den Augen der „Senator“-Fluggäste mit extrem scharfen Messern zu tranchieren.
Foto: Lufthansa
So gut wie jede Fluglinie ließ Feuerzeuge mit ihren Logos bedrucken und während des Fluges oder in den Airline-Stadtbüros an ihre Kunden verteilen. Besonders schöne Exemplare sind die Lufthansa-Feuerzeuge aus der zweiten Hälfte der 50er-Jahre mit den in das Metall eingravierten Silhouetten und Namenszügen der Lockheed L-1049G „Super Constellation“ und L-1649A „Super Star“ Langstreckenmaschinen. Sie waren die ersten beiden Flaggschiffe der 1953 gegründeten und 1955 an den Start gegangenen neuen Fluglinie
namens Lufthansa.
Die Snip-Feuerzeugserie wurde von dem deutschen Hersteller Rowenta in den 50er- und 60er-Jahren produziert und nicht nur von Lufthansa für Werbezwecke genutzt. Mit den Maßen 5,5 × 4,8 × 1,3 cm waren sie ohne aufzutragen leicht in Jackett-Taschen zu transportieren und daher bei Rauchern sehr beliebt. Die eingravierten Lockheed-Maschinen machten sie zudem damals wie heute zu begehrten Sammlerstücken.
Meisterstücke der Schmiedekunst
In den 1950er-Jahren verteilten die Fluggesellschaften während des Flugs Andenken wie dieses Lufthansa-Taschenmesser in Form ihrer Lockheed-Super-Constellation- und Super-Star-Langstreckenmaschinen. Heutzutage wäre das ein sicherheitstechnischer Alptraum.
Foto: Wolfgang Borgmann
Auf den gesunden, friedlichen Menschenverstand ihrer Fluggäste hofften die Airlines auch bei der Nutzung der von ihnen ausgegebenen Taschenmesser. Mit einer Klingenlänge von sechs Zentimetern, die heutzutage eine Bedrohungslage auslösen, waren sie vor fast sieben Jahrzehnten lediglich viel bestaunte Meisterstücke der Schmiedekunst. Airlines wie Lufthansa und die skandinavische SAS ließen diese Präziosen mit Ursprung in der westdeutschen „Klingenstadt“ Solingen, deren Haft in Form einer Lockheed Constellation oder Douglas DC-7C „Seven Seas“ gepresst war, an ihre besten Kunden verteilen und ohne
Einschränkungen an Bord nutzen.
Es ist kein Fall bekannt, in dem diese Messer für einen anderen als den bestimmten Zweck, beispielsweise Obst zu schälen, Verwendung fanden. Dies galt auch für die persönlichen Messersets der an Bord mitfliegenden Köche. Eine ihrer Aufgaben bestand darin, die am Boden vorgekochten und in der Flugzeugküche aufgewärmten Braten mit langen und extrem scharfen Tranchiermessern zu portionieren. Die dafür erforderlichen Messersets waren ihr persönliches Eigentum und wurden von einem Flug zum Nächsten mitgeführt.
Kinderleicht schien sich das extrem scharfe Küchenmesser durch den Braten zu bewegen, der First Class-Gästen an Bord einer Douglas DC-8 der SAS serviert wurde.
Noch etwas Käse vom Buffetwagen, der natürlich frisch aus dem Laib geschnitten wurde.
Foto: SAS Museet
Wie bereits geschildert, gab es kein Verbot für all jene, aus heutiger Sicht streng verbotenen Gegenstände. Und selbst wenn, wäre niemand an den Flughäfen da gewesen, um sie vor dem Abflug aus dem Verkehr zu ziehen. Erst in den 70er-Jahren begann das Abtasten von Fluggästen und die visuelle Kontrolle des Handgepäcks vor dem Betreten der Airport-Warträume, während parallel dazu auch die Polizei verstärkt an Flughäfen Präsenz zeigte.
Es tut manchmal gut, sich dieser friedvolleren Zeiten zu erinnern, wenn man als heutiger Passagier vor der Sicherheitskontrolle seine Schuhe ausziehen muss, mit erhobenen Händen im Körperscanner durchleuchtet wird, und lediglich kleinste Portionen Flüssigkeit mitführen darf. Es war sicherlich nicht alles besser in der „guten alten Zeit“, aber oftmals friedvoller, menschlicher und respektvoller im Umgang miteinander.
Text: Wolfgang Borgmann
Bilder: siehe Quellenangaben
Zahlen, Daten, Fakten
In den 1960er-Jahren zählte es zum First-Class-Service an Bord der Lufthansa Boeing 707, die dargebotenen Braten vor den Augen der „Senator“-Fluggäste mit extrem scharfen Messern zu tranchieren.