Die Airline des Tausendsassas


Schon immer waren und sind es wenige, aber herausragende und charismatische Persönlichkeiten, die das Image ihres Berufsstands nachhaltig prägten. Das gilt auch für den Luftverkehr. Waren es hier früher Manager, wie allen voran der Gründer der Pan Am, Juan Trippe, oder in ähnlicher Funktion Albert Plesman von KLM und Freiherr von Gablenz der Lufthansa, so hat auch der moderne Luftverkehr seine Ikonen. Dazu zählen Männer wie Freddie Laker, der mit der Laker Airways das erste No-frills-Konzept auf Langstrecken einführte, David Neeleman, Gründer und CEO der brasilianischen Azul, oder Richard Branson, dessen Weltkonzern „Virgin Group“, zu der auch die Fluggesellschaft „Virgin Atlantic Airways“ und das Raumfahrt-Unternehmen „Virgin Galactic“ gehören, zu einem der reichsten Briten mit einem Privatvermögen von mehr als vier Milliarden US-Dollar adelte.
Zehn Airbus A350-1000 bilden heute die Flaggschiffe der Virgin Atlantic Airways, die ab London, Manchester und Edinburgh ausschließlich Langstrecken befliegt. Bild: Anna Zvereva_CC

Sir Richard Branson, für seine unternehmerischen Leistungen 1999 von Königin Elizabeth II zum Ritter geschlagen, ist auch ein populäres Beispiel für die Erfolgsgeschichte vom mäßigen Schüler zum Multimilliardär. Am 18. Juli 1950 in London in einer wohlhabenden Akademiker-Familie geboren, war seine schulische Laufbahn aufgrund seiner damals noch weitgehend unbekannten Legasthenie eher mäßig und er brach sie mit 16 Jahren ohne Abschluss ab. Die Lese-Rechtschreibschwäche, so sagt er später, habe er nie als Nachteil empfunden, sondern sie habe ihm geholfen, kreativ zu denken. Mit einem Direktversand für Schallplatten, der Geburtsstunde von Virgin, setzte er zwanzigjährig 1970 den Startschuss für eine unglaubliche Erfolgsstory. Zwei Jahre danach gründete er die Plattengeschäftkette „Virgin Records“ und später sein eigenes Tonstudio „Manor Studios“, in dem ihm der exklusiv unter Vertrag genommene Mike Oldfield mit fünf Millionen verkaufter Exemplare seines Albums „Tubular Bells“ zur ersten Million verhalf.

Für seine unternehmerischen Leistungen wurde Richard Branson 1999 zum „Knight Bachelor“ ernannt und von Königin Elisabeth II. zum Ritter geschlagen. Bild: Chatham House_CC

Dieses Kapital war der Grundstein für weitere erfolgreiche Projekte: „Virgin Music“ entwickelte sich zum größten Plattenlabel der Welt, aber der ambitionierte Branson legte sich nicht auf diese Sparte fest, sondern baute unter der Firmenbezeichnung „Virgin Group“ einen Mischkonzern auf, der schon in den 1980er Jahren über 50 Firmen aus unterschiedlichen Branchen wie Nachtclubs, Flugverkehr, Immobilien, Reisebüros oder Buchhandlungen umfasste. Sie firmierten alle unter der Marke Virgin – so etwa Virgin Rail, Virgin Atlantic Airways und das erste kommerzielle Raumfahrtunternehmen Virgin Galactic, um nur einige zu nennen. Heute ist die Virgin Gruppe ein global aufgestellter Konzern, zu dem mehr als 400 Unternehmen gehören und dessen Alleininhaber Richard Branson ist.

Ein älterer Highspeedtrain (HST) 82103 von Virgin Trains. Nach der Privatisierung von British Railways Mitte der 1990er Jahre betrieb das Unternehmen bis zu sechs Strecken ab London. Am 7. Dezember 2019 stellte Virgin Trains den Betrieb ein. Bild: Matthias Winkler

Preiswerte Tickets mit seriösem Auftritt

1984 übernahm Branson alle Anteile der zwei Jahre zuvor gegründeten British Atlantic Airways, um der marktbeherrschenden British Airways mit günstigen Tickets auf der Langstrecke Paroli zu bieten. Er benannte sie in Virgin Atlantic Airways um und startete am 22. Juni gleichen Jahres mit Basis am zweitgrößten Londoner Flughafen Gatwick mit einer einzelnen, von American Airlines übernommenen Boeing 747-123 und der beziehungsvollen Registration G-VIRG den Flugbetrieb nach New York. Übernommen wurde dabei auch das Konzept des „Skytrains“ der in Insolvenz gegangenen „Billigfluglinie“ Laker Airways: Einfachste Organisation, simpler Bordservice und tiefe Preise standen im Vordergrund, verbunden mit einem jugendlich lockeren Auftritt, dem jegliche Schwere einer traditionellen Airline, wie zum Beispiel von British Airways oder Pan Am, fehlte. Die Seriösität und Abgrenzung von den Low-Cost-Airlines unterstrich sie auch durch die Einführung einer Premium-Economy-Klasse, die Virgin Atlantic als erste Fluggesellschaft Europas als Produkt zwischen Business- und Economy-Klasse anbot.

Mit dieser Boeing 747-100 wurde 1984 der Flugbetrieb auf der Strecke von London-Gatwick nach Newark bei New York aufgenommen. Sie erhielt den Taufnamen „Sir Freddie“ im Gedenken an Sir Freddie Laker, der 1977 mit dem „Skytrain“ den Billig-Verkehr auf Langstrecken etabliert hatte. Bild: N95504_CC

Natürlich war mit einem einzigen Flugzeug in einem anspruchsvollen Verkehrsgebiet wie England – USA wenig zu erreichen, und so beschaffte Virgin Atlantic 1986 zwei weitere 747 der Serie -200, die dann auch nach Miami eingesetzt wurden. 1991 schaffte Branson es, auch sogenannte Slots ab dem Londoner Hauptflughafen Heathrow zu bekommen, womit eine Schlüsselfunktion der Virgin Atlantic als ausschließliche Langstrecken-Airline ermöglicht wurde. Als Folge wurde die Airline mit der Bestellung von zehn A340-300 Kunde bei Airbus, orderte aber außerdem mit 13 Boeing 747-400 erstmals auch fabrikneue Jets beim US-amerikanischen Wettbewerber.

Airbus A340-300X wurden 1993 die ersten Jets, die fabrikneu von Virgin Atlantic geordert wurden. Sie ergänzten die 747 und schafften den Unterbau zur Entwicklung neuer Strecken. Bild: AeroIcarus_CC

Bis dahin war aber noch ein beachtlicher Weg zurück zu legen, und die Jumbos der zunächst noch ziemlich namenlosen Airline wollten gefüllt werden. Für dieses Ziel war der Heimatflughafen Gatwick ein Problem, der noch in den 1980er-Jahren eine etwas vernachlässigte Schwester des großen Airports Heathrow im Westen von London war und im Linienverkehr eine eher unbedeutende Rolle spielte. Deshalb schloss Branson eine Reihe von Charterverträgen zum Beispiel mit der irischen Aer Lingus oder British Air Ferries ab, die im „Wet Lease“ in Bemalung und mit Kabinenbesatzungen der Virgin Zubringerdienste vom Kontinent und Irland nach Gatwick unternahmen, dies allerdings mit dürftigem Erfolg.

Mit dieser im Wet-Lease betriebenen BAC 1-11 der British Island Airways installierte Virgin 1984 ab Maastricht erstmals einen Zubringerdienst vom Kontinent nach Gatwick, um die 747 besser auslasten zu können. Bild: Luftfahrtarchiv Matthias Winkler

Mit starken Partnern und originellem Marketing zum Erfolg

Nicht zum ersten Mal hatte Branson damit Lehrgeld zu zahlen, aber er war und ist eben Unternehmer im besten Sinn, der Profit als Lohn, und eben nicht als Vorbedingung zum Handeln erkennt. Als Virgin Atlantic in finanzielle Schwierigkeiten geriet, verkaufte Branson 1992 sein Plattenlabel für eine Milliarde Dollar, um damit die Airline zu retten. Nach verschiedenen anderen Versuchen mit Zubringerdiensten und kleinen Tochterunternehmen erreichte er 1991 Slots am Flughafen Heathrow, der bis dahin fest in der Hand der British Airways war. Damit erledigte sich das Problem. Großbritannien ist nämlich der einzige transatlantische und überhaupt interkontinentale Markt, der aus sich selbst prosperiert. Zusammen mit originellem Marketing führte es dazu, dass Virgin bis heute praktisch ausschließlich vom britischen Markt leben kann. Der bezieht sich für Virgin in erster Linie auf die USA, interessanter Weise nicht auf Kanada und schon gar nicht auf Mexiko. Dafür allerdings auf die Karibik und darüber hinaus ab London auf Ziele in Afrika, hier Nigeria und Südafrika, sowie Indien, den Malediven und China.

Mit schönen Taufnamen, wie hier „Cosmic Girl“, wurden die 1994 eingeführten Boeing 747-400 für 26 Jahre die allseits beliebten Flaggschiffe der Virgin Atlantic. 13-400 wurden bis 2020 eingesetzt. Bild: Luftfahrtarchiv Matthias Winkler

Seit die große Rivalin British Airways, mit der Virigin Atlantic schon mehrfach Konflikte gerichtlich austragen musste, 1997 ankündigte, mit ihrer neuen Bemalung „World Images“ den Union Jack von ihren Flugzeugen zu entfernen, prangt die britische Flagge auf den Flugzeugen der Virgin Atlantic, verbunden mit dem Slogan „Britain's Flag Carrier“. Das mit Abstand stärkste Verkehrsgebiet der Virgin Atlantic sind die USA. Nicht weniger als sieben Destinationen werden dort angeflogen. Dabei hat sich Virgin Atlantic inzwischen wieder komplett auf Großbritannien konzentriert. Das kann sie sich leisten, denn den weltweiten Anschluss stellen die neue Großgesellschafterin Delta und deren Skyteam-Allianz sicher, zu der auch die mächtige Air France-KLM-Gruppe gehört.

Bis zu 20 Airbus A340-600 flogen von 2002 bis 2020 auf dem Netz der Airline, bis die Corona-Pandemie auch diesen Vier-Strahler, hier die G-VNAP „Sleeping Beauty“, ins flottenpolitische Jenseits beförderte. Bild: Luftfahrtarchiv Matthias Winkler

Mit vier Sternen in allen Service-Kategorien ist Virgin sowohl am Boden wie in der Luft gut bewertet, und auch die Sicherheitsbilanz ist in der mittlerweile vierzigjährigen Geschichte der Airline so gut wie makellos. Die Wirtschaftsdaten sind allerdings herausfordernd. Virgin wurde von der Corona-Pandemie besonders hart getroffen und hat sich bis heute nicht davon erholt. So musste 2020 in den USA erneut Gläubigerschutz in sogenannter Eigenverwaltung beantragt werden.

Virgin setzt auch umwelt-technisch Maßstäbe: Mit einer solchen Boeing 787-9 wurde Ende November 2023 weltweit erstmals zu 100 % synthetischer Treibstoff (SAF Sustainable Aviation Fuel) auf einem Langstreckenflug verwendet, hier von London nach New York. Bild: Aleem Yousaf_CC

Der Vorstand der Airline verbreitet dennoch Optimismus und will spätestens 2025 wieder schwarze Zahlen schreiben. Das wäre dringend zu wünschen, denn die Airline, die über die Virgin Group immer noch mehrheitlich in britischer Hand ist, wird nach wie vor maßgeblich von Sir Richard geleitet. Der exzentrische Kopf der Airline, der übrigens gar nicht so gern mit „Sir“, sondern lieber mit „Dr. Yes“ angeredet werden will, weil das Leben viel freudvoller sei, wenn man ja sage, wird dafür sorgen, dass seine Airline immer wieder für publikumswirksame Aktionen gut ist. Diese waren und sind zweifellos ein ganz erheblicher Faktor für den Erfolg der Fluggesellschaft und ein Verdienst Bransons. Seinem Gespür für Publicity ist es zu verdanken, dass Virigin Atlantic immer wieder von sich Reden macht. So hatte Branson es beispielsweise geschafft, durch Produktplatzierungen in den James-Bond-Filmen „Casino Royale“ und „Ein Quantum Trost“ British Airways aus diesen Blockbuster zu verdrängen.

Das überraschend beschauliche Head Office von Virgin Atlantic und Virgin Holidays im Manor Royal in Crawley (West Sussex, England) Bild: MilbourneOne_CC

Popularität verschaffte er seiner Airline auch durch teilweise provozierender Werbung. So bewarb er 1993 die Einführung des bis dato längsten Passagierflugzeugs der Welt mit dem zweideutigen Slogan „Mine's bigger than yours“ („Meiner ist größer als deiner“) oder spielte auf die Mehrdeutigkeit des Unternehmensnamens „Virgin“ (Jungfrau) mit dem Leitspruch an: „More experience than our name suggests“ („Mehr Erfahrung als unser Name verspricht“). Die wohl größte mediale Aufmerksamkeit erzielte er aber zweifellos mit seinem 2004 gegründeten Unternehmen Virgin Galactic, mit dem er im Juli 2021 zum weltweit ersten touristischen Weltraumflug startete. Im Februar 2008 brachte er seine Airline in die Schlagzeilen, in dem er einen Testflug von London Heathrow nach Amsterdam mit einer ausschließlich von Biokraftstoff betriebenen Boeing 747-400 durchführte und 2023 mit einem vollständig mit SAF (Sustainable Aviation Fuel, deutsch: nachhaltiger Luftfahrttreibstoff) betriebenen Boeing 787 Dreamliner von Heathrow nach New York flog. Der kreative, mutige und innovative Branson und seine Virgin Atlantic bleiben auch damit sicher einer der schillerndsten Sterne der europäischen Luftfahrtszenerie.

[1] Boeing 747-200B am Flughafen London Gatwick 1986. Bild: Steve Fitzgerald_GNU

[2] A321-200, Virgin Sun 2000-2001. Bild: Rob Hodgeskins_CC

[3] Airbus A330-300, 2013: Bild Charlie_CC

[4] Airbus A340-600 am Flughafen London Heathrow 2010. Bild: Chris Lofting_CC

[5] BAe 146-200, Cityjet Irland 1994. Bild Pedro Aragao_CC
Text: Fritz Gratenau
Titelbild: Aer Lingus A320-200, 2013 für Virgin ab Irland, Bild: Trevor Hennant_CC

Zahlen, Daten, Fakten

Name: Virgin Atlantic Airways Ltd.
Sitz: Crawley, Sussex, UK
Eigentümer: Virgin Group (51%), Delta Air Lines (49%)
Basis/Hubs: London-Heathrow (LHR), Manchester (MAN)
Gründung: 1984
Mitarbeiter: ca. 7.900
Passagiere: 4,1 Mio. (2022)
Umsatz/Ergebnis US-$: 3,6 Mrd. / - 430 Mio. (2022)
Streckennetz: USA, Karibik, Afrika, Asien
Flotte:
17 Boeing 787-9
9 Airbus A330-300
5 Airbus A330-900
10 Airbus A350-1000
Bestellt:
11 Airbus A330-900
4 Airbus A350-1000

Internet: www.virginatlantic.com

Stand: Dezember 2023

Virgin Atlantic Airbus A330-900neo
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Artikelnummer:
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Maßstab:
1:500
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Das nach rechts aufsteigende rot-weiße Virgin-Logo findet sich auf allen der über 30 Tochtergesellschaften, darunter den beiden Airlines Virgin Atlantic und Virgin Australia, wieder. © Virgin Group
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Artikelnummer:
572934
Maßstab:
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99,95 €